Die Gründung des Frankfurter Schachverbandes — Bezirk 5
28. Oktober 1924: Die Gründung des Frankfurter Schachverbandes — Bezirk 5
Ein kleiner Rückblick auf ein Kapitel Frankfurter Schachgeschichte
Es fällt schon auf, daß sich die Gründungsdaten von Schachvereinen und teilweise auch die von Verbänden derzeit häufen. Viele dieser Vereine hatten ihren Anfang in den 20er-Jahren, also nur wenige Jahre nach dem Ende des l. Weltkrieges, der offenbar zur Verbreitung des Spiels beigetragen hat.
Das Anwachsen der Schachbewegung in dieser Zeit traf aber nicht in allen Regionen auf eine Schachorganisation, die dieser Bewegung gewachsen oder aber gar nicht vorhanden war. Es mußten Regionalverbände erst gebildet werden. So kam es in der Region, zu der auch Frankfurt sowie Teile des heutigen Landes Hessen damals räumlich gehörten, 1920 zur Gründung des „Mittelrheinischen Schachbundes“ und schließlich, am 28. Oktober 1924, zur Gründung des „Frankfurter Schachverbandes“ (heute Bezirk 5), der zu diesem Zeitpunkt noch ein reiner Stadtverband war.
Mittelrheinischen Schachbundes
Mit der Gründung des Mittelrheinischen Schachbundes, den man als eine Art Vorläufer des heutigen Hessischen Schachverbandes ansehen kann, war gleichzeitig eine der letzten Regionen, die über noch keine eigene Interessenvertretung im Schach verfügte, gefüllt worden.
Doch war die Fläche, die dieser Bund mit Sitz in Bad Ems abzudecken hatte, viel zu groß, um etwa einen Turnierbetrieb gestalten zu können. Auch wenn dem Bund Mitte der 20er Jahre nur über 40 Vereine mit etwa 2000 Mitgliedern angehörten, war der Zweck, die „Förderung und Hebung des Schachspiels am Mittelrhein zwischen Köln und Frankfurt a. M.“ wohl kaum zu erfüllen, weil dieser Raum von Gießen und Marburg im Nord- Nordosten, von Darmstadt und Heidelberg bzw. Worms im Süd- Südwesten bis nach Trier im Westen reichte.
Es war also nur eine Frage der Zeit, daß sich Unterverbände bilden mußten. Anstöße dafür gab es viele. Neben dem schon Genannten, dem zu großen Territorium, war es wohl nicht zuletzt die starke Zunahme von Schachvereinen in dieser Zeit, die u.a. auf eine Organisierung von Wettkämpfen drangen.
Frankfurter Schachverband — Bezirk 5
Daß es auch in Frankfurt zur Gründung eines Schachverbandes — Bezirk 5 kam, überrascht dabei nicht, weil hier das organisierte Schachspiel eine lange Tradition besaß. Dennoch gab es in Frankfurt, neben den genannten neuen Vereinsgründungen, noch einen besonderen Anstoß, der zur Gründung dieses Stadtverbandes geführt hatte.
Frankfurt gehörte am Ende der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht zu den allerersten Adressen im Schach. Das waren vor allem die Städte Berlin mit ihrer „Schachgesellschaft“ oder Leipzig mit der „Schachgesellschaft Augustea“. Aber die Stadt am Main, in der 1887 ein „Vorort- Komitee“ des Deutschen Schachbundes (DSB) gegründet worden war, gehörte in den 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts immerhin zu den „neun hervorragendsten Schachstädten“ in Deutschland.
Führender Schachklub war der 1880 gegründete Schachverein „Anderssen“ Frankfurt, dessen Mitgliederzahl Mitte der 90er-Jahre des vorigen Jahrhunderts nur knapp unter 100 lag. Das überrascht nicht, wenn man z.B. aus den Berichten von Zeitchronisten erfahren kann, welche Bedingungen der Verein den Spielern damals bot. Für sie standen „außer einem größeren Spielsaal, noch drei schön eingerichtete Zimmer zur Verfügung, ein Lesezimmer mit der Bibliothek, ein Rauchzimmer, und ein Zimmer für Turnierspieler“. Und in dem nahe dem Opernplatz gelegenen Domizil empfing die Spieler am Eingang „ein Portier in Livree und machte die Honneurs“.
Dabei wurden nicht wenige Simultan- und Blindvorstellungen organisiert. Das war „für Frankfurt was Neues, das viele Zuschauer anlockte. Die Presse brachte lange Berichte, das warb für den Verein.“ Und die Liste derer, die im Laufe der Zeit dort ihre Spielkunst vorführten, konnte sich sehen lassen: C. v. Bardeleben, S. Tarrasch, Schlechter, Steinitz, Janowski und später auch E. Lasker. “
Das aller größte Interesse erregte das Auftreten Capablancas.“ Diesen hatte der Verein telegraphisch eingeladen und war damit „allen anderen Vereinen in Deutschland vorausgeeilt“. Schließlich war Capablanca bei „Anderssen“ 1911 zweimal, 1913 einmal zu Gast.
Der l. Weltkrieg brachte einen gewaltigen Einschnitt. 1917 wurde zwar noch ein neuer Verein gegründet, die meisten Klubs stellten aber ihren Spielbetrieb ein. „Anderssen“ verlor von seinen nahezu 100 Mitgliedern knapp die Hälfte, die alle in den Krieg mußten.
Um so erstaunlicher war die Entwicklung nach dem l. Weltkrieg. Die großen und traditionsreichen Vereine brachen bald aus allen Nähten. Die Mitgliederzahlen von „Anderssen“ zeigen das deutlich. 1919 waren es bereits 80 Mitglieder, 1920 immerhin 130, 1921 dann 175 und 1922 sage und schreibe 250 Mitglieder, die der Verein zählte.
Freie Schachvereinigung
Eine vergleichbare Entwicklung hatte auch die „Freie Schachvereinigung“ der Stadt durchlaufen, aus der später der „Frankfurter Schachverein“ hervorgegangen war. Daß diese beiden Großvereine, die lange Zeit das Schachleben der Stadt bestimmten, nicht alle neuen Spieler anzogen, sondern daß sich daneben auch neue Vereine bildeten, ist verständlich.
1920, also am Beginn des Jahrzehnts, war der Schachverein „Anderssen“ nicht nur der größte, sondern vermutlich auch der erste oder auch der einzige Klub, der über eine gut funktionierende Leitung verfügte. Aber das Jahr 1920 war für den Verein zugleich ein Jubiläumsjahr, so daß zur Feier des 40- jährigen Bestehens „ein größeres Turnier um die Meisterschaft von Frankfurt“ ausgetragen wurde.
Meisterschaft von Frankfurt
Dieses Turnier dauerte mehrere Wochen, erregte großes Interesse und wurde schließlich von Dr. Mannheimer gewonnen. Heute gilt diese Stadtmeisterschaft, die strenggenommen eine „inoffizielle“ war, als die erste nachgewiesene Stadtmeisterschaft von Frankfurt.
Für die Lücke, die bis in die Zeit der Jahre 1924/25 reicht, von wo an sich Stadtmeisterschaften mehr oder weniger regelmäßig nachweisen lassen, suchen viele heute nach einer Erklärung. Die Lösung, die hierfür gefunden wurde, scheint plausibel; Es fehlte an einer Organisation, einem geeigneten Verband, der dies anerkannter weise bewerkstelligen konnte. Dafür war die Zeit dann im Jahre 1924 reif. Der Anstoß, ein kleiner Eklat, wurde oben schon angesprochen.
Anfang Oktober 1924 schrieb die „Freie Schachvereinigung“ in der Tagespresse einen Wettkampf um die „Meisterschaft von Frankfurt a. M.“ aus. Auch den anderen Schachvereinen der Stadt war eine Mitteilung bzw. Einladung dafür zugeleitet worden. Teilnehmen sollten an dieser Meisterschaft alle „erstklassigen Schachspieler“, die zudem einem „hiesigen Schachverein“ angehörten. Für den Sieger waren 100 Mark als Preisgeld und der Titel „Meister von Frankfurt a. M.“ vorgesehen. Doch das Echo auf diese Offerte war negativ.
Fast alle Vereine der Stadt legten gegen diesen eigenmächtigen Schritt der „Freien Schachvereinigung“ Protest ein. Vielleicht war es der Ton, so würden wir aus heutiger Perspektive urteilen, mit der die Freie Schachvereinigung ihre „Aufforderung an die Frankfurter Schachwelt“ vorgetragen hatte, die den Widerspruch provozierte. Aber man verwahrte sich auch inhaltlich gegen den Alleingang der Schachvereinigung, eine Stadtmeisterschaft auszuschreiben bzw. auszutragen: So sollten auch solche starken Spieler zugelassen werden, die keinem Verein angehörten; und es gab Bedenken gegenüber der Aussetzung von Preisgeldern, weil man dies nicht im Einklang mit den Bestimmungen des DSB sah.
Die Freie Schachvereinigung hatte wenige Tage später versucht, diesen Protest auszuräumen. Schließlich war man übereingekommen, daß der Vorstoß der Freien Schachvereinigung umzumünzen sei als ein Anstoß zur Gründung eines Frankfurter Schachverbandes, in dem alle Vereine zu verbinden seien.
Die Gründungsversammlung dazu fand am 28.10.1924 im neuen Vereinslokal des Schachvereins „Anderssen“, im Restaurant Groß- Frankfurt am Eschenheimer Turm (eine Räumlichkeit, die die Stadt dem Verein zur Verfügung gestellt hatte, um dort ein „Schachheim“ zu errichten) statt.
Beteiligt waren an der Gründung des Verbandes die Schachvereine „Anderssen“, Freie Schachvereinigung, Schachverein „Hatikwah“, Klub der Schachfreunde (heute Schachfreunde Frankfurt), Schachklub Sachsenhausen und der Schachverein „Schachecke“.
Mit seinen über 600 Mitgliedern war dieser Schachverband einer der größten Stadt- Schachvereinigungen in Deutschland. Neben den üblichen schachlichen Allgemeinzwecken setzte sich der Verband zur Aufgabe, „die Stadt Frankfurt a. M. bei Städtewettkämpfen, auswärtigen Schachkongressen, Verbandsmeisterschaften usw. zu vertreten“.
In der Presse wurde diese Gründung begrüßt und man hielt die „Konstituierung für außerordentlich vorteilhaft für das immer mehr empor blühende Schachleben der Stadt Frankfurt und ihrer Umgebungen“ und hoffte, „daß die neue Vereinigung im Blüten- und Ruhmeskranz deutscher Schachvereine ein würdiges Mitglied sein wird“.
Alle sechs Gründungsvereine waren zugleich Mitglieder des DSB. Auch das jüngste Mitglied, der „israelitische“ Schachverein Hatikwah, der erst am 1.5.1924 gegründet worden war und bereits 100 Mitglieder hatte. Dem Mittelrheinischen Schachbund gehörten dagegen nicht alle Vereine an.
Im Gründungsjahr waren dem Frankfurter Schachverband noch der Rödelheimer Schachklub, die Schachgesellschaft Frankfurt und der Arbeiterschachklub Groß- Frankfurt beigetreten, die aber alle keine Mitglieder des DSB und auch nicht des Mittelrheinischen Schachbundes waren. Der Arbeiterschachklub Groß- Frankfurt hatte sich nur wenige Tage vor der Gründung des Frankfurter Schachverbandes — Bezirk 5 aus mehreren. Stadtabteilungen gebildet und wäre, wenn es heute einen „Nachfolger“ gäbe, gleichfalls 75 Jahre alt. Seine Mitgliedschaft zum Frankfurter Schachverband gilt als noch nicht ganz gesichert.
Einerseits war es nicht ungewöhnlich, daß Arbeiterschachklubs Mitglieder von Stadt- oder Ortsverbänden waren. In diesem Falle erscheint der Eintritt schon überraschend, weil er noch nach den gravierenden Satzungsänderungen des Deutschen Arbeiterschachbundes im Jahre 1922 erfolgte und diesen widersprochen hätte.
Gut ein Jahr später war der Arbeiterschachklub dann auch aus den Verzeichnissen des Frankfurter Schachverbandes — Bezirk 5 verschwunden. Die mit der Gründung des Frankfurter Schachverbandes — Bezirk 5 in die Satzung aufgenommenen Zwecke der Organisation, also beispielsweise die Austragung von Verbands- Mannschaftsmeisterschaften, erwiesen sich schnell als Makulatur.
Die beiden Großvereine, „Anderssen“ und die „Freie Schachvereinigung“, verhielten sich gegenüber dem Verband passiv und zeigten an Mannschaftskämpfen kein Interesse. Ein Grund dafür war, daß viele starke Spieler Mitglieder in beiden Vereinen waren und somit Mannschaftsaufstellungen eine klare Entscheidung für einen Verein verlangt hätten. Zudem bestanden in diesen mitgliederstarken Klubs so viele Wettkampfmöglichkeiten, daß darüber hinaus wohl kaum Spielinteresse bestand. Das war bei den kleineren Vereinen anders.
Klub der Schachfreunde
So hatte der 1921 gegründete „Klub der Schachfreunde“, der nur über 30 Mitglieder verfügte, an vereinsexternen Vergleichen ein viel größeres Interesse. Diese waren aber „privat“ nur schwer zu organisieren, wie die Zahl der Kämpfe dieses Vereins in der Zeit von der Gründung bis 1924 zeigt.
In diesen vier Jahren konnten nur sechs Wettkämpfe gegen andere Vereine ausgetragen werden.
Und so kam es, unter Beteiligung aller Vereine, vorerst nur zu der angestrebten und allgemein anerkannten Austragung von Stadtmeisterschaften im Einzelwettkampf, die ja auch der Anstoß für die Gründung des Verbandes waren. Die begannen einen Monat später und unter der Beteiligung von 15 Spielern.
Aus dieser Gruppe hatten sich sechs Spieler für die Endrunde qualifiziert. Und als erster „Schachmeister von Frankfurt a. M.“ für das Jahr 1925 konnte am 10. Januar 1925 der Spieler Wilhelm Orbach („Anderssen“) gekürt werden.
Daß dieser neue Schachverband und seine Ambitionen das Interesse der näheren Umgebung weckte, überrascht sicher nicht. Schon im Januar 1925 suchten die Vereine aus Neu- Isenburg, Oberursel und Bad Homburg über den Mittelrheinischen Schachbund Anschluß an Nachbarvereine“.
Das aber wäre schon wieder ein neues Kapitel Schachgeschichte (eine „Frankfurter Schach- Chronik“ ist in Vorbereitung).
Gerd Heinrich, Frankfurt am Main
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